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18.07.2025

Netzwerk Ukrainehilfe. Schnackt doch mal mit denen

Kurz nach Beginn des Krieges ist das „Netzwerk Ukrainehilfe“ entstanden. Damit die vielen Helfenden stets wissen, wie die Lage in der Stadt ist – und wo Unterstützung gerade am dringendsten gebraucht wird. Die BürgerStiftung Hamburg koordiniert das Netzwerk und unterstützt so das Engagement in

Mehr als 80 Projekte und verschiedene Behörden sind Teil des Netzwerks, und dessen Arbeit ist dringend nötig: Seit dem Überfall Russlands sind fast 60.000 Menschen nach Hamburg geflüchtet. Eine Herausforderung für Dieter Seelis von „Wir im Quartier“, für Maria Markina von „Nordherz“ und Veronika Detel, die das Netzwerk für die BürgerStiftung Hamburg koordiniert. Gefördert wird es von Beginn an von der Sozialbehörde.

Dieter Seelis Das Netzwerk ist für mich ein Wunder. Wie viele Leute da ihre Erfahrungen einbringen unter all dem Druck. Und das Herz sind die Netzwerktreffen. Zu Kriegsbeginn waren die wöchentlich, heute ist das ein Termin jeden Monat, digital oder persönlich in der Stiftung, vollgepackt mit Informationen. Da kann man ganz viel mitnehmen und reingeben.

Maria Markina Da besprechen wir, was wer gerade wo braucht. Es hilft oft schon zu sehen, dass man ein Problem nicht alleine hat – und oft gibt es bereits eine Lösung dafür.

Veronika Detel Es ist ein Raum, wo Leute konstruktiv reden, die die volle Komplexität der Lage kennen. Bei den Projekten kommen oft Leute an mit einem Schuhkarton voller Fragen – und um diesen Einzelfällen gut helfen zu können, müssen sich die Angebote gut ergänzen. Damit nicht ein Fall die gesamte Kraft eines Projekts bindet. Was auch wichtig ist: Hier können Hilfsprojekte mit Behörden schnell in Kontakt kommen. Denn die sind auch bei den Netzwerktreffen dabei.

DS So bekommt man Dinge mit, die noch nicht in der Zeitung stehen. Wenn zum Beispiel die SFA bei den Treffen ihre Einschätzung abgibt.

VD Die städtische „Stabsstelle Flüchtlinge und übergreifende Aufgaben“ bringt das Netzwerk regelmäßig auf den aktuellen Stand: wie die Lage in den Unterkünften ist, wo neue entstehen und womit sie rechnen. Das hilft uns, ein wenig zu planen. Und für die Verwaltung ist es eine Gelegenheit, mit Leuten zu reden, die vor Ort sind. Vogelperspektive trifft Engagement.

MM Zu uns kommen oft Menschen, die über Behörden klagen. Da ist direkter Dialog wichtig: Was funktioniert nicht? Was können wir von unserer Seite besser machen? Im Netzwerk kann so etwas geklärt werden – und zwar gemeinsam und zielgerichtet.

VD Es gibt auch viel Vertrauensarbeit im Hintergrund. Damit wir einen Raum schaffen, wo alle das Gefühl haben, sie gehören dahin und sind da richtig.

DS Veronika hat Verbindungen in die ganzen städtischen Behörden, da ist sie exzellent. Ich mochte mal ihr Handy sehen: Wie dick das sein muss, so viele Nummern sind da gespeichert! (lacht) Durch sie wird das Netzwerk der BürgerStiftung dann auch zu unserem Netzwerk.

VD Auch ihr bereichert das Netzwerk – zum Beispiel mit eurer Erfahrung. „Wir im Quartier“ ist ja seit 2015 aktiv.

DS Seitdem koordiniere ich Patenschaften, die Ehrenamtliche mit Gefluchteten eingehen, damals mit Syrern und Afghanen. „Wir im Quartier“ hat zudem eine Fahrradwerkstatt, es gibt ein Begegnungscafé, und wir machen Sozialberatung. Da hat sich profundes Wissen angesammelt – auch wenn Schutzsuchende Probleme mit Behörden haben. Es kommt ja vor, dass es Widerspruch braucht.

MM Nordherz gibt es seit 2022, also seit dem Überfall. Das war ganz spontan organisiert auch von Leuten, die gerade erst am Hauptbahnhof angekommen waren. Viele, die sich bei uns engagieren, sind selbst Geflüchtete. Manche kommen sehr traumatisiert an, und da hilft es, wenn sie etwas Menschliches und Sinnvolles machen können. Es geht aber auch darum, sich nicht alleine zu fühlen. Ein wenig mehr „den Boden zu spuren“. Auch da ist das Netzwerk sehr bereichernd.

DS Umso mehr freue ich mich jetzt über unsere Zusammenarbeit.

MM Ich mich auch. Denn die größte Herausforderung für Schutzsuchende ist, Deutsch zu lernen. Ihnen fehlt die Möglichkeit, die Sprache zu sprechen. Also fuhren wir unsere „Sprachspaziergange“ jetzt gemeinsam durch …

DS … und dann sind alle zusammen und quatschen, die Syrer mit den Ukrainerinnen. Man muss einfach immer gucken, wo es Synergien gibt.

VD Die versuche ich zu fordern. Da gibt es die Erfahrung von Initiativen, die seit Jahren diesen Job machen. Und dann gibt es neue Initiativen mit eigenem Bezug zur Ukraine, die Infos übersetzen und Missverständnisse klären können. Wisst ihr noch, wie anfangs Behördenpost an Schutzsuchende verloren gegangen ist? Weil das Postsystem in der Ukraine mit Wohnungsnummern arbeitet, haben manche hier ihre Namen nicht an den Briefkasten geschrieben. Das sind einfache Dinge – wenn man sie weiß. Diesen Austausch und Struktur herzustellen, das ist mein Job. Ich schubse das Netzwerk immer wieder ein wenig an.

DS Es gibt ja diesen Werbespruch: „Entdecke die Möglichkeiten.“ Das macht Veronika. Sie zeigt uns: Schaut, das alles gibt es! Versucht doch mal dieses, schnackt doch mal mit denen!

VD Es ist dabei wichtig, Parallelangebote zu vermeiden. Es sind viele Projekte ganz schnell entstanden – und manchmal machen zwei dasselbe. Neulich hatte ein Verein die Idee, eine Selbsthilfegruppe zu gründen für Kinder mit Autismus aus der Ukraine. Denen habe ich gesagt: Super Idee, aber das gibt es schon – schnackt mal mit denen, bündelt eure Ressourcen. Gerade weil sich alles immer ändert.

MM Es ist wirklich immer alles im Fluss: die Situation in der Ukraine, die rechtlichen Rahmenbedingungen hier – und das in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Was vor zwei Monaten Politik war, konnte morgen nicht mehr gelten. Deswegen ist für das Netzwerk große Flexibilität wichtig. Die gibt es nur mit Solidarität und Kooperation.

VD … und einem guten Umgang mit Unvorhersehbarkeiten. Man verlernt dabei jeden Perfektionismus. Und was ich beeindruckend finde: dass dieses ganze Netzwerk nicht nur aufgebaut wurde, ohne dass es eine Blaupause gab – weder bei uns noch bei den Behörden –, sondern auch noch aus einer Pandemie heraus. Wir haben eine Vertrauensbeziehung aufgebaut, ohne uns persönlich sehen zu können.

DS Und dieses Vertrauen gibt Sicherheit. Die ist nötig. Denn die Projekte und Personen im Netzwerk sind ja alle auf ihre Weise belastet. Schutzsuchende oft durch den Krieg selbst, weil Verwandte in Gefahr sind. Und die Engagierten durch ihre Arbeit und durch das, was sie erzählt bekommen.

MM Manche Schutzsuchende haben damit zu kämpfen, dass die Zuhausegebliebenen sagen: Ihr habt es gut, ihr habt ein leichtes Leben. Doch die Leute hier fühlen sich nicht leicht. Eine Frau mit einer kleinen Tochter hat zu mir gesagt: „Ich gehe zurück. Mein Mann kann nicht kommen. Wenn ich eine Familie haben mochte, dann muss ich zu ihm, egal wie gefährlich das ist.“ Oder eine Frau, von der ich erfahren habe, dass ihr Mann gefangengenommen worden war. Ich war wie im Schock. Was soll ich ihr sagen? Sie ist weiter zu den Sprachtreffen gekommen. Es hat ihr wohl geholfen, Deutsch zu reden, um nicht allein mit ihren Gedanken zu bleiben. Um nicht ständig an Zuhause zu denken.

VD Es gibt Schutzsuchende, die sehen auf dem Handy live, wann zu Hause bei der Familie Luftalarm ist. Ich hatte eine Projektleitung am Telefon, die zu mir sagte: „Ich kann viel aushalten, aber, Veronika, ich kann nicht mehr aufhören zu weinen.“ Da ist überall eine hohe Belastung. Auch darüber reden wie miteinander im Netzwerk.

MM Was uns immer weitergebracht hat, ist der Austausch. Weil wir über diese Themen sprechen können. Und weil wir zusammen trauern können und auch diskutieren: Was passiert mit uns in dieser Situation?

DS Ich finde das ganz wichtig, dass Maria das noch mal so sagt. Das ist ja eine unwahrscheinliche Stärke. Ich habe dafür große Bewunderung, gerade für die Ehrenamtlichen.

VD Wir haben auch ein Netzwerktreffen gemacht für Leute in der Sozialberatung. Denn die haben die Schicksale und Traumata direkt vor sich. Bei dem Workshop ging es auch darum: Wenn du jemanden vor dir hast, der panisch ist, wie gehst du damit um in der Beratung? Und wie können Beratende sich selbst starken?

MM Wir bei Nordherz haben Supervision, an der kann man teilnehmen.

DS Psychische Unterstützung für Geflüchtete ist dann noch einmal ein ganz sensibles Thema. Man muss aufpassen, dass man keinem was Böses antut beim Versuch zu helfen.

VD Es ist wichtig, kulturelle Verschiedenheiten zu kennen. Am Anfang haben Projekte „psychologische Beratung“ angeboten – aber kaum jemand kam. Dann haben wir gelernt, dass Begriffe wie „Psychiatrie“ mit politischer Verfolgung in der Sowjetunion verknüpft sein können. Deshalb sind niedrigschwellige, kultursensitive Angebote wichtig. Viele Schutzsuchende suchen Austausch in ihrer Sprache, in informellen Settings. Die traurigen Themen ploppen dann dort oft nebenbei auf.

DS Wir haben mal alle zum Kochen eingeladen. Da standen hier die aus der Ukraine beieinander und haben miteinander geschnippelt, und dort standen die aus Syrien und schnippelten – und während sie Gemüse kleinhackten, haben sie entdeckt, dass es Charkiw nicht anders geht als Aleppo: Beides wird in Schutt und Asche gelegt. Dann begann beim gemeinsamen Essen ein Gespräch über die Sprachbarriere hinweg. Es wurde auch viel gelacht.

MM Humor spielt überhaupt eine große Rolle. Weil er die Menschen beieinander halt. Weil sie in der Gruppe ein wenig scherzen und alles ein bisschen leichter aushalten können. Die Community hat so eine große Starke. Denn im Herzen wollen die Menschen zusammengehören. In den Projekten und im Netzwerk finden sie sich, um gemeinsam etwas Gutes zu tun.

VD Ich denke so oft: Wow, was für ein Spektrum menschlicher Erfahrung, was für ein Reichtum an Engagement. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie so viele Schutzsuchende und Ehrenamtliche es schaffen, ihre Hoffnung zu behalten. Da schafft Engagement Verbindung, und Verbindung macht stark. Und wir versuchen, mit dem Netzwerk Stabilität zu geben – für Menschen, bei denen ansonsten so vieles instabil ist.