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26.08.2024

Zu uns können alle kommen

Wie ein Fels steht Yama Waziri auf dem Spielfeld, sein roter Jogginganzug leuchtet. Um ihn herum wird gedribbelt, gepasst und auf Tore geschossen: Kinder und Jugendliche spielen miteinander Fußball im Verein First Contact. Alle wohnen in Unterkünften für Geflüchtete. Hier finden sie etwas, das selten ist in ihrem Leben: Respekt – und ein Team, das zu ihnen steht, wenn es drauf ankommt.

Herr Waziri, wie haben Sie persönlich zum Fußball gefunden?
Das allererste Mal gekickt habe ich im Iran, als meine Eltern mit mir aus Afghanistan geflüchtet sind. Mit Sandalen an den Fusen, auf steinigen Feldern. 1985 war das. Da war ich zehn Jahre alt und ein Flüchtlingskind. In Deutschland habe ich mich später richtig in den Fußball vernarrt und mich darin völlig ausgetobt. Ich hatte sehr viel zu verarbeiten.

Später haben Sie Sozialpädagogik studiert, Ihren Verein First Contact gibt es seit 2007. Seitdem kümmern Sie sich um Geflüchtete.
Die Gründung hatte auch mit Fußball zu tun. Freunde und ich haben damals auf einem Grandplatz gespielt – und der war im Winter gefroren, also konnten wir nicht drauf. Dann haben wir einen Rat bekommen: Gründet doch einen Verein, so bekommt ihr vielleicht Zeiten in einer Halle. Das haben wir dann gemacht. Und mit einem Mal kamen Anfragen, ob wir minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen das Angebot machen wollen, Fußball zu trainieren. Das war toll damals. Weil es Spaß gemacht hat. Und weil wir gemerkt haben, dass wir keine Sprache brauchen, um uns zu verständigen, sondern nur einen Ball und zwei Tore. Von 2015 an hat unser Verein drei Jahre kein einziges Turnier verloren. Wir sind seitdem sogar Hamburger Meister geworden beim Futsal, also beim Hallenfußball.

Wie kommen Geflüchtete zu Ihnen?
Wir gehen in die Unterkünfte und verteilen unsere Flyer. Und die Eltern rufen uns an. Zum Training holen wir die Jungen und Mädchen ab. Wir haben Honorarkräfte und Ehrenamtliche, mit denen fahren sie oft durch die halbe Stadt. Einige aus unserem Team sind selbst 2015 nach Deutschland geflüchtet und spielen heute Fußball in der Oberliga, sind Schiedsrichter oder machen ihre Trainerscheine. Sie trainieren samstags in Mümmelmannsberg in mehreren Hallen.

Wie läuft so ein Training ab?
Am Anfang begrüßen wir uns alle. Die Kleineren nehmen wir auch mal in den Arm, die Älteren begrüßen wir per Handschlag und Augenkontakt. Wir fühlen uns in die Kinder hinein: Bedrückt sie etwas? Wollen sie reden? Einige kommen mit Sportklamotten an, andere bekommen von uns Schuhe, eine Hose, ein Trikot. Manchen Mädchen kämmen wir noch die Haare oder machen ihnen Zopfe, damit ihnen beim Kicken keine Locke ins Gesicht fallt. Dann sammeln wir die Handys ein, und die Kinder schnappen sich einen Ball. Dann Training: Passen, Ballannahme, Schusstraining, räumliches Koordinieren. Die älteren Jungs bringen wir in eine andere Halle. Die können dort dann auch mal richtig doll Krach machen und zeigen, dass sie den härtesten Schuss haben. Und die anderen? Wir versuchen, die Kleinen und die Mädchen zu stärken. Bei manchen Kindern merkt man sofort, dass es noch nie ein körpermotorisches Angebot gegeben hat. Denen muss man viel zeigen und erklären. Und bei den Mädchen müssen wir drauf achten, dass sie auch trainieren – die wollen immer gleich spielen. Viele sind schon seit Jahren bei uns und richtig leistungsstark. Die gehen auch mit vollem Einsatz gegen Jungs ins Spiel. Bei uns spielen alle mit- und gegeneinander, auch gemischt, Mädchen, Jungs, Jüngere und Ältere. Die Trainer spielen auch mit. Es sind immer acht Erwachsene dabei, um aufzupassen und ansprechbar zu sein. Das ist wichtig, denn es kommen immer rund 30 Kinder zu unserem Training, in den Ferien und bei besonderen Veranstaltungen sind es mehr als doppelt so viele.

Was suchen und finden diese Kinder und Jugendlichen bei First Contact beziehungsweise beim Fußball?
Es gibt Jugendliche, die wohnen seit fast neun Jahren in einer Unterkunft, oft auf engstem Raum mit Verwandten und Geschwistern. Die wollen dort einfach nur weg. Und sei es für ein paar Stunden. Denn was sollen sie in ihrer Unterkunft machen? Als Kind mitten in einem Industriegebiet? Da sind überall Lkw, und dort gibt es vielleicht nicht mal einen Ball. Das ist furchtbar. Dort gibt es Stress, Ängste, Armut, Benachteiligung – hier bei First Contact können sie spielen und trainieren, hier gibt es Bananen, Äpfel, Müsliriegel. Und vielleicht sogar so etwas wie Gemeinschaft.

Und es gibt aber doch bestimmt auch Konflikte unter den Geflüchteten.
Natürlich. Verschiedenste. Die einen können nicht verlieren. Andere sind sowieso genervt von der großen Schwester oder dem kleinen Bruder – und plötzlich haben sie sich hier in den Haaren. Manche sind schnell aggressiv. Die muss man erst einmal in Ruhe lassen, bis sie wieder runtergekommen sind. Diese jungen Menschen haben es schwer, da ist auch viel Frustration. Viele fühlen sich nutzlos, nicht gewollt, ohne Bindung, auch ohne Heimat, denn die Unterkunft ist keine. Ich kann das sehr gut verstehen. Ich habe damals acht Monate auf einen Schulplatz gewartet. Das war eine richtig schlimme Zeit.

 

Worum geht es, pädagogisch gesehen, bei den Turnieren, an denen Sie teilnehmen? Wie wichtig sind die Pokale?
Wir sind schon stolz auf die Pokale. Aber um die geht es nicht wirklich. Der Wettkampf bietet den Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit, mit diesem enormen psychischen Druck umzugehen, der die ganze Zeit auf ihnen lastet. So ein Turnier ist purer Stress und ein enormer Adrenalinkick. Ich kenne das gut aus meiner Jugend. Manchmal stehe ich heute vor Jungs, die heulen. Weil ihnen alles zu viel ist. Weil niemand auf sie hört. Das und sich andersherum auch immer wieder zu beruhigen – diese ganze Aufregung bei einem Turnier, die ist wichtig. Im Extrem eines Wettkampfs verarbeiten sie auch Traumatisierungen durch Raub, Krieg, Zerstörung. Weil die Stresssituation nun anders interpretiert wird von der Psyche. Und zu heulen ist okay? In einigen Kulturen gehört es sich nicht zu weinen. Aber es ist wichtig, dass die Kinder auch mal loslassen können – und das von anderen Kindern legitimiert wird. Die lachen nicht, die hänseln nicht. Auch die Mannschaften gehen oft gut miteinander um. Die verbünden und stärken sich und feiern die anderen. Die reifen durch diese Turniere. Auch Kinder, deren Mannschaften immer den letzten Platz machen. Die kommen zu mir und fragen, wann denn das nächste Turnier ist. Dann freue ich mich.

Es geht bei First Contact also um viel mehr als um Fußballspielen. Was ist der Kern dieses Projekts?
Dass die Kinder erkennen, dass es um sie geht. Sie können etwas, sie haben Potenzial – und das kann sich entfalten, wenn sie an sich arbeiten. Wir versuchen sie auf vielen Ebenen zu fördern. Wir nehmen sie ernst, wir fordern aber auch einen respektvollen Umgang ein. Das ist uns ganz wichtig. Und zum Kern des Projekts gehört noch etwas: dass First Contact verlässlich da ist und es hoffentlich auch in Zukunft sein wird. Denn Routinen sind wichtig für Kinder. Etwas muss immer wieder da sein. Die Kinder brauchen sehr lange, bis sie in eine Routine reinkommen – und es ist für sie erschreckend, wenn sie wegbricht. Wir sind immer da und haben Bälle dabei, jeden Samstag.

Die Kinder und Jugendlichen, die jetzt in den Unterkünften sitzen – die werden wir in den kommenden Jahren immer wiedertreffen. Die werden vielleicht die Ärzte von morgen sein. Sie werden mich pflegen. Denen müssen wir immer wieder sagen, dass sie wichtig sind.

Sie und Ihr Team sind also äußerst wichtige Bezugspersonen.
Ich bin nicht der Vater, ich bin nicht die Mutter. Ich habe eine ganz andere Rolle. Deswegen kann ich ganz anders mit Kindern und Jugendlichen reden. Wir würden uns wünschen, dass mehr Eltern kommen und sagen: „Wow, mein Kind, das hast du ganz toll gemacht.“ Denn ich kann ein Kind so viel motivieren, wie ich will – aber wenn das seine Mutter sagt, dann macht das Kind einen Sprung in der Entwicklung. Und die Eltern sagen auch: „Wir haben uns nur auf den Weg gemacht, weil wir wollten, dass unsere Kinder es besser haben.“ Deswegen haben sie doch auch ihre Heimat verlassen. Aber oft kommen wir an die Eltern in den Unterkünften leider nicht heran.

Was motiviert Sie persönlich?
Ich habe Glück gehabt, denn ich hatte damals als Flüchtlingskind in Deutschland sehr gute Lehrer. Die haben mich dort abgeholt, wo ich war. Sie wussten, welche Schwierigkeiten ich hatte, und sie haben alles aus mir rausgeholt. Das sind bis heute meine Vorbilder. Und es ist für mich ein Highlight, wenn ich Menschen treffe, die früher mal bei uns gekickt haben und die heute in höheren Ligen spielen. Oder die jetzt in der Oberstufe in die Schule gehen. Viele waren, als sie zu uns gekommen sind, gar nicht gruppenfähig. Die hatten große Ängste. Und heute haben sie einen guten Job, das freut mich immer sehr. Und fußballerisch gesehen: Ich glaube, in zwei oder drei Jahren konnten wir wieder eine Phase haben, in der wir wieder unschlagbar sind auf Turnieren. Das wäre eine große Leistung, denn unsere Ressourcen sind begrenzt. Und Sie können sich ja nicht wie ein Verein die Kinder herauspicken, die bei Ihnen spielen. Wir haben die Kinder, die keinen Anschluss an das Leben bekommen, weil da halt nur die Starken gefördert werden. Das darf nicht sein. Wir wissen doch: Die Kinder und Jugendlichen, die jetzt in den Unterkünften sitzen und Verbindungen suchen – die werden wir in den kommenden Jahren immer wiedertreffen. Die sind unsere Zukunft. Die werden vielleicht die Ärzte von morgen sein. Sie werden mich pflegen. Die werden alles Mögliche sein können. Denen müssen wir immer wieder sagen, dass sie wichtig sind. Zu uns können alle kommen. Auch wenn ein Kind vielleicht heute mal nur in der Halle herumdaddelt und gar keine Lust hat auf Fußball.

Hauptsache, es ist da?
Genau. Und es lächelt.

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