Jonathan ist unsichtbar. Zumindest solange er den Schrank berührt, der hinter ihm an der Wand steht. Dann ist er Backstage, hinter der Bühne, als würde die Welt die Augen zu machen, und Jonathan ist nicht mehr da. Vor ihm sitzt der Rest der Klasse und wartet gespannt auf seinen Auftritt. Willkommen bei TUSCH Hamburg, bei „Theater und Schule“!
Seit mehr als 20 Jahren ist TUSCH Hamburg eine Maschine der Möglichkeiten: Schulbehörde, Kulturbehörde und Stiftungen ziehen an einem Strang, um Schulen und Theater zusammenzubringen und um etwas zu schaffen, das es ohne TUSCH nicht gäbe – ein Programm, das Kindern die Bühne nicht nur näherbringt, sondern ihnen eine gibt, und zwar eine große, im Jungen SchauSpielHaus etwa oder auf Kampnagel. Und nicht nur zwischendurch: Die Kooperationen zwischen Theatern und Schulen laufen über drei Jahre. Die BürgerStiftung Hamburg unterstützt das Programm seit 2012. Vier Schulen aus benachteiligten Stadtteilen profitieren dabei besonders. Sie bekommen weitere Fördermittel und werden professionell begleitet.
TUSCH bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, auf vielfältige Weise ihre Stärken zu zeigen und es ist ein enorm wichtiger Beitrag zur Sprachbildung.
Bianka Petri | Leiterin der Schule auf der Veddel
Eine davon ist die Stadtteilschule auf der Veddel. Deren Leiterin ist Bianka Petri, und sie weiß genau, was sie an dem Programm schätzt: „TUSCH bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, auf vielfältige Weise ihre Stärken zu zeigen“, sagt sie, „und es ist ein enorm wichtiger Beitrag zur Sprachbildung.“ Viele Kinder an ihrer Schule haben einen hohen Bedarf, was dieses Thema angeht. „Einige denken, sie hätten ein unüberwindbares Defizit – etwa, weil sie neu im Land sind oder weil sie kein Deutsch sprechen“, sagt die Kulturbeauftragte der Schule, Susann Hoffmann, „dabei bringen sie so oft Talente mit, von denen sie gar nichts ahnen.“ TUSCH stärkt sie und nimmt sie mit auf eine Reise ins Unbekannte: „Die meisten Kinder und Jugendlichen hier kommen nicht selbstverständlich mit Theater und Tanz in Berührung“, sagt die Schulleiterin, „und jetzt treffen sie sogar Menschen, die das verkörpern.“ Für „SuperWrestling“ arbeiten TUSCH, die Kulturagent*innen Hamburg und die Schule eng zusammen. Ein Kostümbildner schneidert allen frisch gebackenen Superheld:innen der Klassen 3a und 3b ihre eigenen Kostüme, und ein echter Wrestler war zu Besuch im Container und hat ihnen coole Moves beigebracht. „Diesen Auftritt werden sie im Leben nicht vergessen“, sagt Bianka Petri. „Dass sich so viele Menschen Mühe geben, hier etwas zu bewirken, empfinde ich auch als große Wertschatzung unserer Schule gegenüber.“ Und da ihr Kollegium TUSCH unterstützt, macht das Mut für die Zukunft. „Wir haben ein Ziel: Jedes Kind geht im Schuljahr einmal ins Theater, ins Museum oder ins Konzert und steht selbst auf der Bühne.“
„Hoş geldiniz!“, „Akwaaba!“, „Marşa doġiyla!“, „Per premieren boterore te SuperWrestling!“: Bei ihrem Auftritt werden die Kinder ihr Publikum in ihren Muttersprachen begrüßen, neben Deutsch auf Türkisch, Twi, Tschetschenisch, Albanisch: Willkommen bei der Weltpremiere von SuperWrestling! „Diese Show ist für euch!“, wird Merv rufen. „Und für uns!“, wird Chidera sagen, „ich bin Cat Girl und das ist Merv O Beng!“. Dann werden sie sich alle zeigen: Superheld Crome etwa, der eigentlich Yocef heißt, aus seinen Händen schießen Flammen. Messi 10 (eigentlich: Mahmoud) wird sich die Bühne nehmen, seine Superkraft: schneller zu sein als alle anderen. Und Heldin Bella (Ester) wird da sein, sie kann mit Tieren sprechen.
Im Container auf der Veddel gehen die Proben derweil weiter. Es wird ein Stück werden über das Kämpfen an sich, über das Gute und das Böse in der Welt. Alles hier ist Vorstellung und Prozess – und Wille. Denn Proben sind manchmal langweilig. Weil immer wieder die Musik neu beginnt und die Schüler:innen immer wieder ihre Schritte üben müssen. Weil es manchmal Tränen gibt. Etwa, weil erst der fiese Gegner in einem selbst besiegt werden muss. „Mutig zu sein, bedeutet manchmal auch, Dinge zu tun, die einem Angst machen“, sagt Antonia Rehfueß zu einem Jungen, der gerade am liebsten unsichtbar wäre. Sie ist die Regisseurin des Stücks. Sie hat über Wochen mit den Kindern geredet über deren Bezug zum Kampf oder zu Superheld:innen, und aus dem, was sie gesagt haben, hat sie das Skript und die Dialoge für das Stück entwickelt. Bei ihr steht die Choreographin Virginia Lewerissa. Sie kommt von K3 | Tanzplan Hamburg, dem Zentrum für Choreographie auf Kampnagel – dem TUSCH-Partner der Schule – und wird heute mit den Kindern einige Bewegungen einstudieren. Ihre Spezialität: Krump, eine Tanzform mit starken Moves, die gut passen zum Wrestling, zum Sich Messen. Wenn „Turbo-Toni“ und Virginia da sind, wissen die Kinder: Jetzt wird der Container zur „SuperWrestling Academy“! Und eins ist besonders wichtig: „Wir sind ein Team!“, ruft die Regisseurin, „wir machen das gemeinsam! Das Publikum sieht das, wenn wir nicht zusammen stark sind auf der Bühne.“ „Die Kinder haben mega Bock gehabt, ihre Superkräfte herauszufinden“, sagt Antonia Rehfueß, „da war zu spüren, dass viele hier nicht so viele Gelegenheiten haben, wo sie strahlen können.“ „Wo sie gesehen werden“, sagt Virginia Lewerissa. Sie haben gemerkt, dass eine Schwäche vielleicht sogar eine Stärke sein kann, eine Superstärke sogar. „Und diese Superkraft können sie sogar mitnehmen“, sagt Antonia, „und sich daran zurückerinnern in einem Moment, wo sie unsicher sind oder überfordert.“
Wir sind ein Team! Das Publikum sieht das, wenn wir nicht zusammen stark sind auf der Bühne.
Antonia Rehfueß | Regisseurin
In dem Stück wird viel gekämpft. Was auffällig ist: wie sehr die Kinder bei den Proben aufeinander achten. Wie superfein ihre Sensoren sind für die Unsicherheiten der anderen – wenn etwa ein Freund ein nettes Wort braucht oder die Freundin eine Umarmung. „Klar ist aber, dass es immer Sieger und Verlierer geben wird“, sagt Antonia. Weil das bei Superheld:innen und Wrestler:innen eben so ist. Wie im echten Leben auch. „Die Kinder kämpfen ja sowieso die ganze Zeit, in der Schule, im Unterricht“, sagt die Regisseurin, „und es fällt ja niemandem leicht, vor Publikum zu verlieren. Selbst Erwachsenen nicht. Darüber haben die Schüler:innen viel mit ihr und untereinander geredet. Warum das mit dem Verlieren so schwierig ist. Und am Ende kamen sie auf eine Lösung – sogar auf eine theatralische. Die Lösung heißt Toprak und ist neun Jahre alt. Sein Superheld hat Tigeraugen, auf dem Bauch seines schwarzen Kostüms wird man als Logo ein Gehirn sehen. Seine Superkraft: Gedankenlesen. „Ich bin Toprak. Ich höre alles. Warum ist es so schwer zu verlieren?“, wird er die anderen auf der Bühne fragen. „Es ist peinlich, vor dem ganzen Publikum zu verlieren!“, wird Blini antworten (er kann fliegen). Und Spidergirl Erina wird sagen: „Aber wir haben das doch abgesprochen! Ihr habt doch nur im Theaterspiel verloren.“ Dann wird Toprak die Gedanken der anderen Superheld:innen lesen und verraten, warum sie nicht verlieren wollen: „Weil sie denken, sie können nix. Sie fühlen sich nicht mehr wie Helden, weil sie verloren haben.“ Pause. Bis Erina aus dem Off fragt: „Wann ist Kämpfen nicht gut?“ Und Superheldin Subresha nachhakt: „Wenn es nur noch um Stolz geht?“ Erina: „Wenn du verletzt, nur weil du selbst verletzt bist.“ Subresha: „Wenn´s dunkel wird im Herzen.“ Ende des Aktes.
„Es ist total schön, wie die Kinder bereit sind, zu lernen“, sagt die Choreographin Virginia Lewerissa, „Tanz hat ja auch mit Disziplin zu tun und mit Geduld, Konzentration, Kooperation.“ „Wir alle müssen in dem Prozess immer wieder herausfinden, was wir brauchen, um gut miteinander zu arbeiten.“ Es ist wichtig, dass sich alle gegenseitig ernst nehmen mit ihren Bedürfnissen. Und ein bisschen ist es auch gut, dass Antonia und Virginia keine Lehrkräfte sind, dass sie von außen kommen, aus einer anderen Welt. „Die Kinder sind gelassener uns gegenüber und haben keine Angst, etwas zu fragen oder uns ihre Meinung zu sagen, wenn ihnen was nicht passt“, sagt Virginia. „Ich finde es bemerkenswert, wenn man in so jungen Jahren schon so ein Gefühl äußern kann.“ „Die Kinder merken ja, wie krass viel Energie die Leute in ihr Projekt reinstecken“, sagt Antonia – „nur damit sie eine coole Show haben“. All die Lehrer:innen, die Theaterleute, der Kostümbildner und der Wrestler. „Es passiert ein Austausch zwischen Personen, die sich wohl sonst so nicht begegnen würden“, sagt die Regisseurin. Allein schon, dass die Kinder hier auf Antonia und Virginia treffen, kann Lebenswege ändern – oder die Vorstellungen davon: Man kann vom Tanzen leben? Und vom Theater? Cho-reo-gra-phin? Das kann ein Beruf sein? Vielleicht sogar für … mich? TUSCH: Das ist eine Gelegenheit zum Wachsen. Das gehört zu gutem Aufwachsen dazu.
Damit „SuperWrestling“ und TUSCH funktionieren, müssen zwei Welten sich annähern, die der Schule und des Theaters. „Das sind zwei sehr geschlossene und sehr komplexe Systeme“, sagt Carsten Beleites, der TUSCH-Beauftragte der Schule. Auf der einen Seite gibt es Lehrpläne und geplante Unterrichtsstunden, auf der anderen ist der Ausgang oft offen. Es gibt auch unterschiedliche Geschwindigkeiten. Verschiedene Lautstärken. Es geht um Begreifen und um Loslassen. Da sei es wichtig, auf Seiten der Schule ein aufgeschlossenes Kollegium zu haben. Und auf Seiten des Theaters „die Offenheit, auf Kinder oder Jugendliche zu treffen, die mit Tanz in dem Sinne noch nichts zu tun hatten“, sagt Sina Kirchner von K3, die dort die Schulpartnerschaften begleitet, „das bedeutet, sich die Zeit zu nehmen und zu sagen: Ich werfe mich da jetzt rein und probiere das aus.“ „Dabei darf das Theater in der Schule nicht als Mittel gesehen werden, Schüler:innen sozial erwünschtes Verhalten beizubringen – sondern als Weg, sich selbst und die Welt neu zu erleben und zu sehen, sagt der Lehrer. „Dann kann TUSCH auch ein Türöffner sein in die Welt der Kultur, sagt Sina Kirchner. Unterstützt werden die beiden von den „Kulturagent*innen Hamburg“, die etwa in regelmäßig stattfindenden TUSCH-Werkstätten Tipps geben, wenn sich die zwei Welten gerade aneinander reiben. Diese Werkstätten werden gefördert von der BürgerStiftung Hamburg.
Es gibt im Stück diesen schönen, leichten Moment: „Applaus ist wie so ein warmer Schauer“, sagt Tuana (Superkraft: einfrieren). „Applaus macht uns stark, sagt Superheldin Emma: „Er gibt uns den Mut, weiterzumachen, auch wenn es schwer ist.“ „Deswegen wollen wir den Applaus nicht für große Siege und perfekte Momente aufheben,“ sagt Jonathan. Wie er da steht im Licht, in seiner goldenen Hose und dem lila Oberteil, gefasst, cool, als sei er dafür gemacht. „Unser Applaus ist fürs gemeinsam Hiersein. Fürs Anfangen. Und sich etwas trauen!“ Jede Superheldin und jeder Superheld hat eine Herkunftsgeschichte. Die von Jonathan und seinen Tanzpartner:innen beginnt hier, in einem Container der Stadtteilschule auf der Veddel, bei der Fischgaststätte – in der „SuperWrestling Academy“.
Gerade Schulen in benachteiligten Stadtteilen sollen die Möglichkeit haben, an dem Programm teilzunehmen. In der TUSCH-Werkstatt werden Schulen und Theater drei Jahre lang durch die Kulturagent*innen Hamburg bei der Umsetzung gecoacht, beraten und unterstützt und von der BürgerStiftung Hamburg mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet. Sie haben Fragen oder möchten spenden? Wenden Sie sich gerne an: Ines Gödecken, Projektkoordination, Tel. (040) 878 89 69-606 bzw. per E-Mail an ines.goedecken@buergerstiftung-hamburg.de
IBAN: DE93 2005 0550 1011 1213 14
BIC: HASPDEHHXXX | Hamburger Sparkasse
Verwendungszweck: Gutes Aufwachsen
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